Stricherszene

Das Thema Prostitution findet derzeit in den Medien große Aufmerksamkeit. Der Gesetzgeber möchte das 2001 eingeführte Prostitutionsgesetz ändern, um die Rahmenbedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit zu verbessern. Zwangsprostitution und Menschenhandel sind die Schlagworte, die die öffentliche Debatte bestimmen. In der Regel geht es dabei immer um Frauen. Kaum eine Rolle spielen männliche Prostituierte, obwohl im Sexgewerbe auch viele Strichjungs oder Callboys unterwegs sind. Im Ruhrgebiet bilden Dortmund und Essen die Schwerpunkte der männlichen Prostitution.

Allein 100 Stricher hat das Projekt „Neonlicht“ von der Aidshilfe Dortmund im Jahr 2013 betreut. In der Westfalenmetropole gibt es seit Jahrzehnten feste Strukturen der männlichen Sexarbeit, dazu gehören Stricherkneipen, Callboy-Agenturen oder in früherer Zeit der Hauptbahnhof als Treffpunkt. Erst nachdem vor wenigen Jahren eine Studie die Szene genauer untersuchte, wurden von der öffentlichen Hand finanzielle Mittel für ein Betreuungsprogramm zur Verfügung gestellt. Alexander Lenz ist der zuständige Fachbereichsleiter bei der Aidshilfe und koordiniert das Projekt. Der Soziologe berichtet, dass die Stricherszene in Dortmund heute vor allem von jungen Männern aus Bulgarien dominiert wird. „Die meisten Jungs sind nicht zwangsläufig schwul. Die Prostitution bietet ihnen einfach eine Verdienstmöglichkeit, vor allem wenn andere Jobs ausbleiben“, sagt er. Mit seinem Kollegen Stephan Schönig sucht Lenz regelmäßig die Treffpunkte der Stricherszene auf und verteilt dort Kondome und Informationsbroschüren über HIV und andere Geschlechtskrankheiten. Das Streetwork-Projekt öffnet den Strichern einen Weg zum Gesundheitssystem, verweist an Ärzte und leistet sozialrechtliche Beratung. In Dortmund sind es vor allem junge Erwachsene, die mit sexuellen Dienstleistungen ihr Geld verdienen. „Wir haben es mit jungen Männern bis maximal 21 zu tun“, erklärt Lenz: „Minderjährige Stricher finden sich nur wenige“.

Auch in Essen hat sich über viele Jahre eine Stricherszene etabliert. Dort hat die Aidshilfe mit ihrem Projekt „Nachtfalke“ frühzeitig ein aufsuchendes Betreuungsangebot für die Zielgruppe entwickelt und führt mit der „Jungen-WG“ neuerdings sogar ein stationäres Jugendhilfeangebot für minderjährige Jugendliche, die prostitutionsgefährdet sind. Fachbereichsleiter Manuel Hurschmann gilt als ausgewiesener Experte. Der Sozialpädagoge ist Autor eines Handbuchs für die soziale Arbeit mit Strichern. „Häufig haben Stricher keine Wohnung, sind verschuldet, werden nicht ausreichend ärztlich betreut und sind abhängig von Drogen, Alkohol oder Glücksspiel. Ihr Risiko, sich mit HIV zu infizieren, ist enorm hoch. Und eine sprachkräftige Lobby haben sie, anders als professionelle weibliche Sexarbeiterinnen, überhaupt nicht“, erklärt Hurschmann. Wenn demnächst im Bundestag die Änderungen zum Prostitutionsgesetz beraten werden, gehört auch die Aidshilfe Essen zu den Sachverständigen, deren Expertise im Anhörungsverfahren berücksichtigt wird. Geschäftsführer Markus Willeke ist Sprecher der „Landesarbeitsgemeinschaft männliche Prostitution“. Dort haben sich die wenigen Stricherprojekte in NRW zum fachlichen Austausch zusammengeschlossen. Neben Dortmund und Essen gibt es noch Betreuungsprogramme in Düsseldorf und Köln.

Nur wenig Einblick gibt es in die Arbeit von Callboys, weil sich ihr Anbahnungsgeschäft hauptsächlich über das Internet vollzieht. Indizien weisen darauf hin, dass diese Gruppe über einen besseren Bildungsstand verfügt und über mögliche gesundheitliche Risiken besser aufgeklärt ist. Oft sind Callboys nicht auf den Verdienst im Sexgewerbe angewiesen, sondern finanzieren damit ihr Konsumverhalten. In der Regel können sie für ihre Dienstleistung wesentlich bessere Preise erzielen als ihre Altersgenossen auf dem Strich. Manuel Hurschmann: „Junge Prostituierte, die ihre Dienste auf dem Bahnhofs- oder Straßenstrich anbieten, stehen in der Rangordnung ganz unten.“ 

Weitere Informationen über das Sexgewerbe in schwulen Lebenswelten findet man bei der Präventionskampagne "Ich weiss was ich tu" im Themenblock Sex4Cash.